Stefan Thies

Stefan Thies ist seit 1989 Geschäftsführer der NFP Animation Film GmbH und der operative Produzent der Mainzelmännchen-Einspieler für das Zweite Deutsche Fernsehen – ZDF. Zu seinen Projekten zählen auch TV-Serien, grafische Gestaltungen und Internetproduktionen. Er ist Werbekaufmann und hat Marketing und Kommunikation studiert. Die NFP* ist eine traditionsreiche Produktionsfirma in allen TV- und Filmgenres. „Die Mainzelmännchen“ sind die dienstältesten Animationsfiguren Deutschlands. Sie schlagen dabei sogar die Sendung mit der Maus um acht Jahre.

Bei einem Telefonat erzählt er mir von seinen Vorstellungen von guter Animation, Hintergründe zu den Mainzelmännchen und seinen Blick auf Kunst und Industrie.

Was für Arbeitsprozesse laufen für die Konzeption und Produktion eines einzelnen Mainzelmännchen-Einspielers ab?

Die Mainzelmännchen haben schon eine lange Geschichte. Es gibt sie jetzt schon in der vierten Figurengeneration, seit 2001 optisch modernisiert, aber inhaltlich immer der gelernten und bewährten Mainzelmännchen-Philosophie treu – ein bisschen moderner, zeitgemäßer. Man muss auch die Größenordnung bedenken. Wir machen in etwa 1100-1200 neue Spots pro Jahr, das heißt wir brauchen auch immer mindestens 1200 kleine Geschichten, oder 1200 Gigs, kleine Situationen. Die Spots sind im Durchschnitt drei Sekunden lang. Wir beauftragen freiberufliche Autoren oder Storyboarder, die uns ihre Ideen zuliefern. Wir selbst haben auch eigene Spotideen, aber im Wesentlichen kommen die Ideen von freien Kreativen. Diese reichen ihre Ideen in Form eines Dreizeilers oder schon als grobgezeichnetes Storyboard ein.
Um 1.200 Spots zu realisieren, brauchen wir ungefähr das Dreifache an Ideen, denn viele Ideen gibt’s es schon oder können aus konzeptphilosophischen Gründen nicht realisiert werden: schräger oder schwarzer Humor, Religiöses, Politisches, Ethnologisches u.a.m.!
Relevante gesellschaftliche Themen, Trends und Technisches aus dem Alltagsleben der Zuschauer, sowie Sport und Freizeitthemen werden dagegen durchaus berücksichtigt – entsprechend den Vorgaben des Senders. Es gibt wöchentliche Treffen mit der Redaktion, bei denen das ZDF final auswählt, was sie gerne haben möchten. Die Abnahmequote schwankt so zwischen vierzig und fünfzig Prozent.

Wie unterscheidet sich die Arbeit an vielen kurzen, für sich stehenden Einspielern von einem einzigen längeren Trickfilmprojekt?

Es ist deutlich aufwändiger, weil es nur Sequenzen von maximal 4 Sekunden gibt. Alles muss immer neu gemacht werden. Dazu kommt, dass wir kein Narrativ haben, also keine Dialoge, die Zeit bringen. Wir müssen im Grunde ausschließlich mit der Animation erzählen, ähnlich der Pantomime. Alles muss über Gestik und Mimik rübergebracht werden. Bei TV-Serien sind die Szenen meist länger und werden vom Narrativ oder Dialog bestimmt. Auch braucht man deutlich weniger Sets, Requisiten und Properties (Props) pro Sekunde.

Der Aufwand ist wesentlich höher, weil wir sehr kleine Einheiten machen und jeder Spot einzigartig ist. Es gibt somit keine Serieneffekte, die man so aus der Produktion kennt, wo man Dinge wiederverwenden kann und man viel Dialog hat, bei dem sich die Figur kaum bewegt. Wir müssen in durchschnittlich drei Sekunden auf den Punkt bringen, worum es geht und wo es spielt.
Natürlich gilt das auch für Geräusche und Musik. Fast jeder Spot hat Musik, seinen eigenen Jingle.

Hat sich in den letzten Jahren die Trickfilmindustrie verändert? Wenn ja, in welcher Hinsicht? Wie hat sich die vorwiegende Digitalisierung des Animationsprozesses auf die Trickfilmindustrie und auf Ihre Arbeit ausgewirkt? Was sind neue Möglichkeiten oder Herausforderungen?

Da kann man ganz eindeutig feststellen, dass es immer weniger Nachwuchs gibt: Die Leute, die klassische Animation oder Trickfilmproduktion gelernt oder erlernt haben. Das wird an den Hochschulen nur noch bedingt oder sporadisch gelehrt. Dann hat sich natürlich auch die Technik vollkommen verändert. Heute geht (fast) alles digital, und damit hat sich auch das Verlangen nach Handanimation verändert. Sie ist weniger geworden.

Unter Handanimation verstehe ich jemanden, der noch mit dem Zeichenstift, analog oder digital am Zeichentisch oder -tablet arbeiten kann und will und weiß, wie eine Figur für Bewegung aufgebaut sein muss. Gestik, Mimik und Posing sind ebenfalls entscheidend. Wie zeichnet man Lächeln, wie Weinen, wie Freude und Zorn im Detail? Anatomische Kenntnisse sind dazu auch wichtig. Proportionen und Körpermechanik; wenn das gewohnt natürlich aussehen soll, muss man die Grundlage dazu wissen oder haben. Mimik und Gestik und eine weiche, ruckelfreie Animation, mit entsprechend vielen Zwischenphasen. So wir es alle von Disney gewohnt sind – früher wie heute.

Im Grunde ist es für uns nicht so entscheidend, ob man noch analog auf Papier oder digital direkt auf Tablet zeichnet. Hauptsache man zeichnet überhaupt noch selbst. Unser Team zeichnet noch alles selbst, d.h. wir setzen (noch) keine Algorithmen in der Animation ein. Denn, um einer Figur empathisches Leben und emotionalen Ausdruck zu verleihen, bedarf es Seele – und natürlich das Wissen, wie man das hinkriegt. Viele lernen das hierzulande nicht mehr, sondern bedienen sich mit Software, die durch Algorithmen animiert. Bei manchen Serien geht das, insbesondere wenn es viele narrative Elemente gibt und die Animation der Figur keine so große Rolle spielt.

Bei uns und vielen anderen deutschen Produktionen auch, wo Gestik, Mimik und Posen in Anatomie und Ausdruck stimmen müssen, wo Figuren auch in 2D dreidimensional sichtbar werden, ist das Wissen und noch mehr das Können elementar – das ist Handwerk. Und es fehlen zunehmend die Handwerker.

In Deutschland lehrt man Animation häufig als Kunstform, abstrakt oder experimental, eher für Festivals, oder zur Selbstverwirklichung. Da steht die persönliche Kreativität im Fokus, die künstlerische Innovation. Das Handwerk ist hier nicht vordergründig. Dieses Handwerk „bewege eine Figur im realistischen Sinne“, anatomisch zumindest nachvollziehbar für das Auge des Zuschauers, dieses Handwerk geht langsam verloren. Das ist zwar nichts Schlimmes, aber schade.

Heute wird alles mit digitaler Technik gemacht. Fast alle Animationsprojekte heute sind CGI (computer generated images) -Produktionen. Softwareprogramme für 2D und 3D, VFX, SFX, AR, VR sind im Einsatz und auch hilfreich – und Operator dafür sehr begehrt. Entsprechend viel wollen diesen Weg gehen, vorzugsweise bis nach Hollywood. Das bedeutet gleichzeitig, dass es immer weniger Leute gibt, die noch klassisch figürlich animieren können und wollen, zumal auch die Nachfrage zurückgeht.

Gleichzeitig wird zunehmend von zu Hause gearbeitet. Durch die „digitale Revolution“, so nenne ich es mal, ist es natürlich möglich, von überall zu arbeiten und nach überall zu senden. Das ist bequem und spart Arbeitsplatzkosten, ist aber oft eine Herausforderung an die Logistik und Kommunikation einer Produktion. Das ist deutlich aufwändiger geworden, weil man viel seltener gemeinsam im Studio sitzt.

Haben Sie Lieblings-Trickfilme?

Da gibt es einige. „Der Gigant aus dem All“ ist ein wunderbarer Film, der zwar nicht so bekannt ist, aber sehr schön erzählt und auch sehr fein animiert. Super gemacht.
„Der kleine Eisbär“ ist ein sehr schöner deutscher Animationsfilm. Produziert von Cartoon-Film Berlin und vertrieben von Warner Bros. Deutschland. Ich gehe bewusst mal nicht länger auf die amerikanischen Groß-Studios, wie Disney, Pixar u.a., ein. Die sind natürlich nach wie vor das Maß der Dinge, aber es gibt eben auch in Deutschland sehr schön gemachte Filme. „Mullewapp“ gehört genauso dazu wie „Der Mondmann“ und „Die „Konferenz der Tiere“. Alle erzählerisch, handwerklich und tricktechnisch top gemacht – und dann auch noch für ein breites Publikum produziert.
Solche Filme fliegen leider immer ein bisschen unter dem Radar, weil die Hollywood-Produktionen alles beherrschen. Es gibt immer die eine oder andere deutsche/europäische Ausnahme oder Überraschung und ich bin immer bemüht sie im Kino zu finden.

Wenn ich mir die verschiedenen Versionen der Mainzelmännchen über die Jahre anschaue, wie hat sich das verändert?

Die Machart und die Zusammenstellung der Teams haben sich geändert. Während ganz früher noch auf Folie konturiert und koloriert und auf einen riesigen Kameratisch mit 35mm Bild für Bild aufgenommen wurde (noch richtiges Filmhandwerk. (lacht), ist das heute viel effizienter, sauberer und auch kostengünstiger.

Unsere Produktion ist schon seit längerem digital, die Vorlagen und die Bewegungen werden aber auch nach wie vor von einem Menschen, von einem Animator, gezeichnet.
Character Animation kommt bei uns (noch) nicht aus der Maschine. Die Zeichnungen sind alle noch von Hand gemacht, ob mit analogem oder digitalem Stift spielt keine so große Rolle, denn das Handwerk ist gleich. Danach kommt natürlich die digitale Produktion: Coloring, Compositing, Rendering, Polishing, Finishing. Auch die Backgrounds/Sets sind digital.

Die Verarbeitung ist digital, aber fürs Kreieren, Erschaffen, Gestalten werden immer noch kreative Menschen (Seele und Sinne) gebraucht. Grafikdesigner und Illustratoren machen das – auch Requisiten und Props, die den Spot (mit)erzählen. Das ist immer noch besser, Maschinen sind nur eingeschränkt kreativ. Sie helfen sehr bei der Verarbeitung und Fertigung. Diese sind deutlich einfacher geworden als noch vor 10 Jahren und man braucht weniger Leute und Material. Aber die sinnliche, gestalterische Kreativität bleibt in Menschenhand.

Das „Analoge“ ist somit für uns nach wie vor wichtig. Sinnliche Details können Algorithmen bisher noch nicht so überzeugend. Jedenfalls nicht zu vertretbaren Kosten. Technik kann inzwischen viel, aber es sieht sehr häufig auch technisch aus, steril, linear und nach Schablone. Die Feinheiten fehlen sehr oft, da sie viel Aufwand bedeuten und damit Kosten. Die meisten seriellen Projekte sind daher relativ einfach produziert und narrativ fokussiert. Da geht es eher um die Geschichte, die erzählt werden soll, und nicht so sehr um die Animation der Figuren.

Was bräuchte denn heute jemand, der in der Animation arbeiten will?

Auf die Ausbildung bezogen? Es ist immer gut, wenn jemand Grafikdesign, Malerei oder wenigstens Illustration gelernt hat. Die Ausbildung selbst ist aber nicht so wichtig für uns. Jemand, der Spaß an und Affinität zu Animation und auch schon eine gewisse Erfahrung, also regelmäßig – auch nebenbei – gezeichnet hat, muss nicht unbedingt eine akademische Ausbildung haben. Gefühl und Talent für Character Animation ist eher von Vorteil. Wir sind immer dankbar, wenn sich jemand meldet, aber wir schauen auch genau hin.

Was macht für Sie gute Animation aus?

Auf jeden Fall sollte sie gefällig, also weich sein, d.h. mit genügend Zwischenphasen. Wichtig ist auch, dass Animation dynamisch ist, und natürlich aussieht. Auch detailgetreue, sinnliche Oberflächen der Figuren und besonders „beseelte“ Augen sind wichtige Faktoren einer guten Animation. Aber es kommt auch immer auf das Projekt an. Es gibt wunderbare Trick-Serien, wie Spongebob oder South Park, die so schräg, so andersartig sind, dass Dinge wie Anatomie u.a. nicht wichtig sind. Da geht es eher um die Charakteristik und Identität der Figuren, den Wortwitz und die lustigen Plots.

Welche Dinge sind leicht falsch oder richtig zu machen? Was sollten Beginner beachten? Wenn Sie sich einen Begriff für das Trickfilmlexikon aussuchen könnten, welcher wäre es?

Ich bin kein Animator oder Illustrator, aber ich habe schon mit vielen gearbeitet. Schon immer eine gute Prüfung war: Zeichne eine Hand und/oder animiere eine Katze. Da kann man schnell sehen, ob jemand Talent und Können hat. Hände zeichnen und Katzen animieren ist nicht leicht. Beobachten Sie mal eine Katze in Bewegung – nicht nur auf der Couch liegend. Die haben eine unglaubliche Geschmeidigkeit und Eleganz in ihren Bewegungen, das ist sensationell.

Oder eben einfach Hände zeichnen, das ist gar nicht so einfach. Wer Hände zeichnen kann, kann auch figürlich zeichnen. Füße genauso. Das sieht ganz einfach aus, aber es sind wieder die Details, die schwierig sind: Proportionen, Hautstrukturen, Falten, Gelenke, Nägel. Lassen wir die Katze mal für die Fortgeschrittenen, Hände und Füße sind schon schwierig genug und als Grundlage für Character Animation sehr wichtig.

Ich rede hier als sogenannter Mainstream-Produzent, der eine populäre Marke mit großer Zielgruppe produziert. Ich rede nicht von Filmen, die auf Festivals laufen, von künstlerischen Visionen. Ich argumentiere aus der Sicht einer „industriellen Animationsproduktion“, Massenproduktion, wenn man so will.

In der Kunstfreiheit ist das schwieriger zu beurteilen. Das sind Einzelstücke, in unserem Falle fortlaufende Produktion einer langlebigen Marke. Deswegen brauchen wir eher Handwerker als Künstler; Leute, die bestehende Vorgaben umsetzen können. Facharbeitermangel könnte man das auch nennen. (lacht) Aber das klingt ein bisschen doof.